So etwa 60 Performances seit Karrierebeginn hat Künstler*in Carla bereits gemacht. Dass seine Performances zwar nicht radikal verstörend sind, jedoch oftmals das Element des Unangenehmen beinhalten, hat sie verstehen und akzeptieren gelernt. Der Grund dafür ist nicht eine möglichst grosse Betroffenheit zu erreichen, sondern eine grosse Faszination Carlo’s für die Dringlichkeit solcher Performances. Zudem verhalten sie sich konträr zu dem, was als „unterhaltend“ bezeichnet werden kann. Unterhaltung hat einen anderen Zweck, denkt sich Carla, so à la Betrachtende erheitern sich an dem Gesehenem bei einem Glas Prosecco, schreien ein wenig Wuuh und teilen Instagram Stories vom Spektakel. Spektaaaaaakel. Carla mag das zwar auch hin und wieder und würde dem niemals den künstlerischen Wert absprechen, doch die Kunst, die ihn am meisten berührte musste immer ein wenig… weh tun. Ein wenig unzugänglich und schwer zu fassen sein. Verwirren. Die Beziehung zwischen Werk und Zuschauer*innen mindestens ein wenig stören (engl. disrupt). Carla mag übrigens auch Horrorfilme sehr, sowas wie It Follows, wo ein mörderisches Wesen in Menschengewand konstant auf die Kamera in der Ich-Perspektive zuläuft.Oder Possession (1981), in dem die Frau in der Trennung einen Breakdown par excellence hinlegt und dabei eine Wand mit ihren Einkäufen, allem voran Milch, neu tapeziert.
Carlo sucht gezielt Momente des Nervenkitzels, geht beispielsweise gerne bei Mondschein in den Wald übernachten, spaziert über Friedhöfe oder streunt an obskuren Orten herum, an welchen er noch nie zuvor war. Er mag es auch kleine Dinge aus Läden zu stehlen, primär Grosskonzerne. Ausserdem liebt sie Gewitter aus offenem Fenster zu beobachten oder bei Platzregen nackt in den Garten zu stehen. Die Mischung von ephemerer Ruhe und unbewusstem Nichts, welche symbiotisch zu empirischen Leinwänden für Projektionen zerfliessen, regt Carla’s Kreativität an. Diese Leinwände können durch unangenehme Kunst erreicht und bespielt werden und dadurch eine Regung, oder sogar Auseinandersetzung im Innersten einer Person ausgelöst werden. Carlo weiss jedoch auch, dass viele Leute dieser Berührungs-Ebene lieber ausweichen. Im extremsten Fall bewirkt sie nämlich eine vertiefte Reflexion versteckter negativer Emotionen und Erfahrungen und dass viele Menschen davor zurückschrecken ist ja bekannt. Möglicherweise ist das auch eine Notwendigkeit, wenn auch eine tragische, um den Antrieb der Menschen anzuregen, denkt sich Carla. Ihre Kunst, die trotz den komplizierten Aspekten des Unangenehmen auf jener Ebene funktioniert, ist dadurch also oft konfrontativ und dadurch vielleicht auch inhärent politisch. Aber Kunst ist ja sowieso immer politisch, und Politik ist sowieso immer künstlerisch und alles ist sowieso immer alles und so weiter. Art for arts sake. Politics for politics sake. Human for human’s sake. Aber….
Nicht alles verkauft sich gut. Und so weiss Carlo, dass die Kunst, die wichtigste konstante Komponente seines Lebens ist, aber auch dass unangenehme Themen im Kunstmarkt beinahe so bliebt sind, wie das Medium der Performance, welches dummerweise die zentrale Sprache ihrer kreativen Expression wurde. Ausserdem lässt sich mit non-materiellen Objekten schlecht Geld waschen, das wäre ja dann schon fast Konzeptkunst. Arme Carla, die in der Gewissheit lebt, dass was sie sich als Lebensaufgabe gemacht hat, wohl nicht als Versicherung der Grundlage ihrer Existenz dienen kann – insofern das Geld ist.
Doch wer weiss… die Menschen, die ihre Performances sahen, mochten diese meistens, oder mochten zumindest, wie sie von Carla ausgeführt wurden, selbst wenn die Inhalte oft eine leicht abschreckende Wirkung hatten. Trotzdem wurden wohl oder übel Bedürfnisse angesprochen, zumindest Bedürfnisse seiner Community, welche er als gesund und wertvoll wahrnimmt. Doch weiss Carlo nicht, ob dieser Zuspruch reicht um mit seiner Kunst eines Tages überleben zu können oder ob er doch seine Vermarktungsstrategien ändern muss. Vielleicht wärs am sinnvollsten einfach mal mit Skulptur oder noch besser Malerei zu beginnen. Das haben sie doch gemacht, die Carolee Schneemans, Chris Burdens oder Nikki de Saint Phalles. Andererseits meinte die von Carla hoch geschätzte Geschichte der Performance-Kunst in fast jeder ihren wichtigen Etappe, wie beispielsweise Fluxus, Futurismus, Dada, dass Painting jetzt dead sei. Die Frage ist, ob Malereien, die ohnehin Objekte sind, überhaupt jemals gelebt haben können – also ob Bilder lebendig sein können. Eine animistische Frage, die abschliessend wohl nur subjektiv beantwortbar ist. Ausserdem, im Hier und Jetzt, also der Contemporaneity und der Contemporary Art spielen Medien ja eigentlich sowieso keine Rollen mehr, meint nur nur Carlo selbst sondern auch seine ehemaligen Kommilitonen des Bachelors an der Hochschule der Künste Bern. Der Kunstmarkt wird sich dem schon fügen müssen, zumindest sobald’s trendig genug ist, da ist sich Carla sicher. Trend erzeugt in der wunderbaren Welt des Kapitalismus früher oder später Verkaufsstrategien und so hofft Carlo, dass es spätestens beim Ankommen dieses Trends im Kunstmark endlich vorbei ist mit dem Starving Artist–Lifestyle, er endlich für die unendlichen Stunden unbezahlter Arbeit Lohn erhält und ja… allzu lange kann das auch gar nicht mehr dauern.
Kann es auf keinen Fall mehr dauern.
In dunklen Momenten hat sie schon oft gedacht: „Die nächste Performance ist die letzte.“ Aber erfolgreich wurden in der Kunstgeschichte schlussendlich ja auch die Künstler*innen, die sich treu geblieben sind und die gute Arbeit geleistet haben, oder? Das ist doch das wichtigste an der Kunst, oder? Carla lächelt bei diesem Gedanken, zündet sich eine Zigarette an und guckt aus ihrem Zimmerfenster auf die Strasse runter. Ein leichter Schneefall tanzt von starkem Wind beblasen um die unzählig umher laufende Menschen, die den Alltag zu diesem machen. Sie denkt an einen Text, den sie vor kurzer Zeit geschrieben hat:
Art for arts sake. Politics for politics sake. Human for human’s sake.
Aber….
Nicht alles verkauft sich gut. Und so weiss Carlo, dass die Kunst, die wichtigste konstante Komponente ihres Lebens ist, aber auch dass unangenehme Themen im Kunstmarkt beinahe so bliebt sind wie das Medium der Performance, welches dummerweise die zentrale Sprache ihrer kreativen Expression wurde. Ausserdem lässt sich mit non materiellen Objekten schlecht Geld wäschen, das wär ja dann schon fast Konzeptkunst. Arme Carla, lebt in der Gewissheit, dass was sie sich als Lebensaufgabe gemacht hat, wohl nicht als Versicherung der Grundlage ihrer Existenz dienen kann – insofern das Geld ist.
Doch wer weiss… die Menschen, die ihre Performances sahen, mochten diese meistens, oder mochten zumindest, wie sie waren und von Carla ausgeführt wurden, selbst wenn die unangenehmen Themen oft eine leicht abschreckende Wirkung hatten. Trotzdem wurden wohl oder übel Bedürfnisse angesprochen, zumindest Bedürfnisse seiner Community, welche er als gesund und wertvoll wahrnimmt. Doch weiss Carlo nicht, ob das reicht um mit Kunst zu überleben oder ob er doch seine Vermarktungsstrategien ändern muss. Vielleicht einfach mal mit Skulptur oder noch besser Malerei beginnen. Das haben sie doch gemacht, die Carolee Schneeman’s, Chris Burdens oder Nikki de Saint Phalles. Andererseits meinte die von Carla hoch geschätzte Geschichte der Performance-Kunst in fast jeder ihren wichtigen Etappe, wie beispielsweise Fluxus, Futurismus, Dada, dass Painting jetzt dead sei. Die Frage ist, ob Malereien, die ohnehin Objekte sind, überhaupt jemals gelebt haben können. Also Bilder lebendig sein können. Eine animistische Frage, die abschliessend nur subjektiv beantwortbar ist. Ausserdem, im Hier und Jetzt, also der Contemporaneity und der Contemporary Art spielen Medien ja eigentlich sowieso keine Rollen mehr, meinen Carlo’s damaligen Kommilitonen des Bachelors an der Hochschule der Künste Bern. Der Kunstmarkt wird sich dem schon fügen müssen, zumindest sobald’s trendig genug ist, da ist sich Carla sicher. Und Trend erzeugt in der wunderbaren Welt des Kapitalismus früher oder später Verkaufsstrategien. Und so hofft Carlo, dass es spätestens dann endlich vorbei mit dem Starving Artist–Lifestyle ist, er endlich für die unendlichen Stunden unbezahlter Arbeit Lohn erhält und ja… allzu lang kann das auch gar nicht mehr dauern.
Kann es auf keinen Fall mehr dauern. In dunklen Momenten hat sie schon oft gedacht: „Die nächste Performance ist die letzte.“
Aber — erfolgreich wurden in der Kunstgeschichte schlussendlich ja auch die Künstler*innen, die sich treu geblieben sind, und die gute Arbeit geleistet haben, oder?
Das ist doch das wichtigste an der Kunst, oder?
Carla lächelt bei diesem Gedanken, zündet sich eine Zigarette an und guckt aus ihrem Zimmerfenster auf die Strasse runter. Ein leichter Schneefall tanzt von starkem Wind beblasen um die unzählig umher laufende Menschen, die den Alltag zu diesem machen. Sie denkt an einen Text, den sie vor kurzer Zeit geschrieben hat:
Why does this person
look at me
like that
…
And another
…
and another
…
Snap
Glass mirror
Ugh that‘s me
What the fuck!
I need a filter
Need a
photoshop
Gimme a
photojob
Make hair
a bit
there
Face a bit
here
Noice lips
Shinier green
Eyes
Toned bones
Uhya sharp
That me
Real me
Realer me
Good
Better
Best
Bested
How do you like this conjugation stud
Face shopping
realest me
Perfectly perfect
Butterfly effect
Ohya I‘m so
so
sooo…
real now
Feel so
sooo…
a-live
This is it
New me
Fresh
like a Puppy
Create my face
through your gaze
Slightly dazed
Botox babe
Nothing as
petrified
As my smile
Grin of stone
Grin-ding teeth
Neverending
smile
Self denial
Smile!
Nothing as true
As the lie
of the self
Nothing as
beautiful
as a picture
of yourself
Selfie, selfie
Sista, selfie
Brother, selfie
Help me
HELP ME!
Like
like me
Share me
My face
is so important
Shallow
Shell
Shelf
Self
Sell
Amazing
Wow!
Love it
Kiss her
and him
and Them
Mjam
Amazing, tasty
Kisses like clouds
Kisses which
show you
how love
feels
I love you
And you and you
And her
him, them
Beautiful illusion
forever in confusion
of the concussion.
Oops
Your heart got ripped out
With a cute
smile
Honest eyes
But I don‘t lie
We gonna
kiss
gonna
kiss
the sky
Kisses like
lies
Kisses
which melt
like pink slime
Soft kisses
and hard fucks
Deep
talk
Fucked up
Feelings are
Intertwangled
Distorted narrators sang good
Smile to escape the neveryday’s mood
Während sie das Gedicht vor sich her murmelt, hört sie ausserhalb ihrer Wohnung ein seltsames Geräusch, das nach einem verlangsamten, rhythmischen Schlagen eines Ventilators tönt. Carla zieht ihre Hausschuhe an und läuft zur Wohnungstüre, öffnet diese und schaut hinaus. Im Gang ist nichts zu sehen. „Muss wohl Einbildung gewesen sein“, denkt sie sich und guckt auf eine kleine Einritzung in der Holztüre, die ihre Freundin Vera vor ein paar Monaten mit einer Nadel hineingekratzt hat. Sie stellt einen Zug dar, der sich im Kreis windet. Gerade als sie die Türe wieder schliessen will, kommt eine Person um die Ecke. Es ist eine Frau, die einen braunen Trenchcoat und Lederstiefel trägt und mindestens zwei Meter gross ist. Sie ist definitiv keine Nachbarin, sonst würde Carlo sie wiederkennen. Ausserdem wirkt die Frau verwirrt, oder zumindest lässt das ihre Körpersprache und ihr suchendes Gehen vermuten. Während sie abwesend durch den Gang schleicht, bleibt sie bei jeder Steckdose stehen und schaut diese aus nächster Nähe genauestens an. Ihr Gesicht befindet sich dabei nur wenige Zentimeter davon entfernt, beinahe so, als würde sie in den Löchern nach etwas suchen. Wie Carla bemerkt, klopft die Frau auch jeweils drei Mal mit dem Zeigefinger auf jede Steckdose, nachdem sie sie gründlich untersucht hatte. Die grosse Frau bemerkt, dass sie beobachtet wird und schaut zu Carlo auf. Ihre Blicke treffen sich, jedoch wirkt es beinahe so, als gehe der Blick der Frau durch ihn hindurch, während ihr Kopf leicht seitlich geneigt ist. Auf dem Gesicht der Frau erscheint ein angedeutetes Lächeln und sie winkt Carla, indem sie ihre Finger drei Mal im Handballen schliesst und wieder öffnet. Carla fühlt sich komplett ertappt, lächelt trotzdem zurück, dreht sich weg, schliesst verwirrt die Wohnungstüre und geht zurück in ihr Zimmer um sich ihren Gedanken zu widmen.
Nach einigen Minuten wird Carla vom selben rhythmischen Geräusch wie vorhin aus den Gedanken gerissen. Dieses Mal schien es jedoch aus weiter Ferne zu ertönen. Carlo rennt zur Türe und schaut zum Gang hinaus. Auf der Seite, wo die Frau zuvor war, findet sich der leere Gang, der aussieht wie immer. Er schaut zur anderen Seite und erschrickt, als er den braunen Trenchcoat erblickt, der nun von der Decke hängt, jedoch ohne Frau darin. Carlo verlässt seine Wohnung und geht darauf zu. Nach ein paar Schritten in den Gang weht ihr ein eiskalter Wind entgegen, als ob jemand die Eingangstüre unten im Gebäude offen liess. Carla läuft weiter auf die Jacke zu und sieht, dass sie an einem Metallhaken aufgehängt ist. Auf halbem Weg weht ihr ein noch stärkerer, frostigerer Windstoss entgegen, der den Trenchcoat mit starkem Geräusch untermalt nach links und rechts flattern lässt, so dass er fast aussieht wie ein Lebewesen, dass mit seinen Flügeln schlägt. Carlo schnappt sich einen Stuhl der im Gang rumsteht um an den Haken an der Decke heranzukommen. Nachdem er die Jacke abgehängt hat, durchsucht er sie und findet in der Westentasche eine Packung Valium und ein Büchlein mit der Aufschrift Forever alive but always been dead. Sie blättert darin. Die leicht vergilbten Papierseiten sind von einem schönen, weinroten Einband umgeben. Nach den ersten paar leeren Seiten findet sie eine Zeichnungen von Pflanzen und Blumen, angefangen mit der Blüte eine Atropa belladonna, auch schwarze Tollkirsche genannt. Die Zeichnung ist eine Art Studie mit verschiedenen Perspektiven und Beschreibungen darauf. Auf der folgenden Seite findet sie eine getrocknet Blüte der Pflanze, die hineingeklebt ist. Darunter steht Belladonna’s kiss makes you sleep. Unter jeder eingeklebten Pflanze und Blume steht zudem ihr Name und eine Jahreszahl. Carla blättert weiter, sieht Studien von Narzissen, Efeu, Mohnblumen, Lilien und vielem weiteren. In der Hälfte des Büchleins beginnen Zeichnungen von Insekten, angefangen mit einer Spinne. Beim Weiterblättern erschrickt sie kurz, als sie auf einer Seite eine eingeklebte laminierte, tote Spinne erblickt. Darunter steht Eratigena atrica, 4 Jahre. Sie blättert weiter und findet weitere konservierte Insekten, unter anderem Raupen, Schmetterlinge und Fliegen. Jedes ist wiederum mit Namen und Jahreszahl angeschrieben. Das Büchlein ist etwa zu zwei Drittel gefüllt. Die letzte gefundene Zeichnung ist nur angefangen, sie sieht aus wie ein flatternder brauner Insektenflügel, aber ihre Textur ist überraschenderweise aus einer Art Stoff, vermutlich Baumwolle oder Seide. Carlo ist gleichermassen fasziniert wie verwirrt. Er versorgt die Valium in der Westentasche und legt den Trenchcoat auf das Treppengeländer. Als sie davon wegläuft hört sie das Geräusch, welches sie aus dem Zimmer gelockt hat erneut. Sie dreht sich um und stellt fest, dass der Mantel vom Geländer gerutscht und wohl das Treppenhaus hinunter gefallen ist. Mit dem Wissen, dass sich in ihrer Hosentasche das gestohlene Büchlein befindet, wendet sie sich vom Treppenhaus ab und geht zurück in ihre Wohnung.