Luca trifft sich an einem grauen Nachmittag mit Trish und Leon zum Kaffe. Nach ersten Gesprächsfloskeln à la „wie gehts?“, „warst du noch da und da“ etc. intensiviert sich das Gespräch beim Thema Autokraten. Das hat auch damit zu tun, dass gerade ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland ausgebrochen ist und die drei mehrere Personen kennen, die mehr oder weniger betroffen sind. Zudem herrscht zur Zeit generell eine grosse Betroffenheit bezüglich des Themas, da es medial sehr präsent ist und dadurch im Volksmund polemisch diskutiert wird. Leonia meint, dass wenn sie die Gelegenheit hätte einen Knopf, oder andernfalls ein Kissen auf Putins Kopf zu drücken um seinem Leben und dadurch seinen kriegerischen Machenschaften ein Ende zu setzen, würde sie das tun. Trisha stimmt dem zu, Luca ist dagegen. Letzterer meint Leben habe immer eine Chance verdient, ausserdem sei Putin zwar eine dominante, wichtige Figur, jedoch bei weitem nicht alleine verantwortlich für die politischen Entscheidungen seines Landes. Diese Position ist in diesem Moment jedoch sekundär, wir werden gedanklich zu Leon. In uns braut es. Wir wollen den Knopf drücken, wollen die Macht haben über Leben und Tod zu entscheiden. Die angestaute Wut kocht allmählich über, wie der Schaum von Teigwaren in einem zu kleinen Topf. Leonia hat die Schnauze voll vom Zweckoptimismus, dem ständigen Lächeln zum abgekarteten Spiel, der Hoffnung, dass doch alles wieder gut werden wird durch eine unverhoffte Einsicht, dass die Besinnung auf Liebe und nicht Machtgier und Hass gewinnen wird. Er hat auch genug von den Heuchlereien in seinem Berufsumfeld, den immer gleichen Gesprächen mit Befreundeten, welche die immer selben Fehler wieder und wieder begehen und trotzdem jedes Mal so überrascht sind als klopfe Virginia Woolf persönlich an ihre Haustüre. Leonia kennt die unzähligen Geschichten und Ausreden dafür, sie hat sie schliesslich auch schon selbst durchlebt. Sie kennt die Versuche das bewusste Fehlverhalten gut zu reden, die Fähigkeit der Menschen durch einen Wechsel der Perspektive die eigene, verzweifelte Position in ein besseres Licht zu rücken. Schlussendlich ist noch immer alles eine Matter of perspective… und die kann wohl nur ausschliesslich subjektiv ausgewählt werden, das ist Fluch und Segen des Menschen als Subjekt. Leon reicht’s, es braucht Veränderung und zwar jetzt. Diese Autokratenarschlöcher, Tumorgeschwüre des Patriarchats sind ja offensichtlich Schuld, dass so vieles auf der Welt schlecht läuft, also weg mit ihnen. Einfach mal böse sein, aber natürlich nur zu gutem Zweck. Oder einfach so mal böse sein.
Leonia erinnert sich daran, dass ihr immer mal wieder unkontrollierbare, bösartige Gedanken durch den Kopf schiessen. Wie beispielsweise, dass jemand von einem Trottoir auf die Strasse stolpert und überfahren wird, oder sie selbst wie magisch von den Zuggleisen angezogen wird, wenn dieser einfährt. Oder jemandem mitten in einem normalen, oberflächlichen Gespräch ins Gesicht zu spucken. Soweit Leon sich selbst sind diese Gedanke keine Ausdrücke von seelischer Tragödie oder Abscheu einer Person gegenüber, sondern einfach eine sehr extreme Handlungen, den die Vorstellung in so einem Moment zu erschaffen vermag. Diese würden ein unvorstellbares performatives Momentum kreieren, welche unvorhersehbare Konsequenzen auf zwischenmenschliche Dynamiken hätten. Sie bewirkten einen kompletten Bruch des Moments.
Leonia denkt zurück, wie sie in der sechsten Klasse dem zwei Jahre älteren Patrick den Kiefer zertrümmerte, weil dieser ihre Klassenkameraden und sie in jeder Pause schikanierte. Das war eine Reaktion aus der Not, ähnlich einem in die Ecke gedrängten Tier, das nur noch anzugreifen weiss. Zumindest auf primärer Ebene. Auf sekundärer gab ihr die Handlung das ekstatische Gefühl sich einer Situation der Hilflosigkeit gewaltsam bemächtigt zu haben. Wut, Kontrollverlust, Explosion, Taubheit. Das Ganze zog enorm negative Konsequenzen von der Schule und den Eltern mit sich, doch im Endeffekt liess Patrick ihn danach in Ruhe. Die Beiden trafen sich sogar nach dem ganzen Trara zu einem klärenden Gespräch, in dem sie nicht nur Frieden schlossen, sondern von einem gemeinsamen Hobby Kenntnis nahmen, nämlich der Vorliebe für ein Sammelkartenspiel. Daraus entstand eine seichte Freundschaft, die etwa eineinhalb Jahre anhielt bis Patrick vom Dorf wegzog.
So 12 Jahre später, also jetzt, ist dieser Erinnerung zu einer Art Allegorie in Leons Leben geworden. Es gibt zwar weder direkte Schikane noch jemand bestimmtes, die oder der diese betreibt, jedoch fühlt sich Leoniq noch immer ein wenig falsch behandelt und unterdrückt. Möglicherweise sogar stärker denn je, allerdings auf einer subversiven Ebene, welche so subtil und manipulativ ist, dass schlussendlich nicht viel Greifbares als Grund fürs unglücklich sein bleibt ausser bei sich selbst. Wie sollte das nicht der Fall sein, in der gewissenlosen, spätkapitalistischen Gesellschaft, in die Leonia hineingeboren, respektive -gezwungen wurde. So werden beispielsweise auch weiterhin Leonia’s Klassenkamerad*innen schikaniert, also die der mittel-obrigen Mittelschicht. Den meisten von ihnen ist bewusst, dass sie privilegiert sind, aber auch, dass diese Privilegien unter anderem dem Unglück der restlichen Welt zu verdanken sind. Doch wieso fühlt sich trotz dieser Privilegien so vieles im eigenen Leben so beschissen an? Oder vielleicht deswegen?
Natürlich lässt es sich weiterhin einem normalisierten, westlichen Lebensentwurf hinterherstreben, denkt Leon. Doch allmählich sollte klar sein, dass grosse Änderung dringend notwendig sind. Das zeigen nicht nur globale Statistiken von Depressionserkrankungen, sondern auch die Leiden der Natur, ausgedrückt durch Klimawandel und Massensterben. Ein, wenn auch nicht der Grund dafür ist sicher auch die Überbevölkerung des Planeten. Denn noch mehr Bevölkerung funktioniert unter den derzeitig dekadenten Lebenskonditionen nicht. Leon erschliesst sich bei diesen Gedanken allmählich, woher seine Wut kommen könnte. Sein Lebensentwurf trägt die Handschrift einer Zivilisation der Destruktion in sich, doch wiederum bietet dieser einen Komfort, der zu gut für grosse Veränderung, aber alles in allem emotional doch eher emotional unbefriedigend ist. Leonia war schon seit klein auf irgendwie bewusst, dass etwas nicht ganz stimmt. Vielleicht hat sie auch darum die Kraft gehabt, dem physisch stärkeren Patrick die Fresse einzuhauen. Soll mit dem hintergründigen Bewusstsein der Destruktivität ihr Lebensentwurf, der eine gelebte Normalität der subversiven Unterdrückung inhärent in sich trägt einfach weitergelebt werden?
Lieber nicht, denkt Leon, sie will das sich etwas ändert und zwar so schnell wie möglich bitte. Und warum nicht einfach mal anders machen. Warum nicht einfach mal Böses zum guten Zweck tun, oder Gutes zum bösen Zweck.
Warum nicht mal der Chefin sagen, dass sie eine konservative Kontrollwahnsinnige ist, deren Selbstbild definitiv zu stark von ihrem Beruf geformt wird?
Warum nicht mal laute Teenies im Zug zusammenschreiben?
Warum nicht mal bei Demos Mülltonnen in Brand setzen? Ein paar Scheiben an der Bahnhofstrasse einschlagen. Ein paar Polizist*innen anschreien.
Warum nicht mal SVP Politiker*innen entführen? Ein Mal Rösti im Keller und der Alltag wird heller.
Warum nicht mal moralisch verwerflich handeln, einfach Arschloch sein.
Dafür ehrlich. Ehrlich dem oder der Partner*in sagen, dass sie oder er heute nervt. Ehrlich dem Elternteil, der noch übrig ist sagen, dass sie schon immer genervt haben. Dass die Ohrfeigen von damals noch immer auf den Wangen glühen.
Den Kindern sagen, dass sie zwar nerven, aber trotzdem geliebt sind. Und immer werden sein.
Warum nicht einfach mal eine eigentlich ungeliebte Gegenposition in einer politischen Diskussion einnehmen?
Warum nicht mal auf eine Demo der falschen Partei gehen, nur um zu sehen, wie Menschen auf so Abwege kommen können? Sind das überhaupt noch Menschen, also normale Menschen, oder bloss politische Karikaturen?
Warum nicht einfach mal wieder von jemandem sinnlos gefickt werden, obwohl man die Person eigentlich gar nicht mag. Das sieht doch in Filmen so spassig aus und Sex ist ja gerade trend.
Oder einfach mal Arschloch lecken, bittersweet Reality babes.
Warum nicht einfach wiedermal Afterparty Sex, ohne Kondom, mit Tripper, weil Konsens und der gemeinsame Nenner rückt vielleicht die Community zusammen.
Ausserdem fickt’s sich am besten in diesen nihilistischen Momenten der Einsamkeit.
Sowieso gibt‘s gegen jedes Leid sein Mittelchen, wieso sich also über sein Stück Körperfleisch den Kopf zerbrechen.
Kopfschmerz, Paracetamol,
Weltschmerz, Valium,
Intimschmerz, Aziclovir
USW, USA, OP-O-ID, Pan-de-mie, tja
Schmerz erschafft ja im schlimmsten Fall auch gute Inspiration, oder zumindest gute Biographie, eigentlich sollten ja alle Menschen mal so richtig gelitten haben, um zu wissen, dass sie erstens wirklich gelebt und zweites als nächstes zu tun haben, oder? Leonia schaudert bei dem Gedanken. So ein paar Traumas auf dem Weg sind perfekte Orientierungspunkte und schon rast Mensch im Zickzack, wie eine Slalomfahrerin das Tal des Lebens hinunter,. Souverän ins Ziel, „doch was ist das Ziel?“, fragt sich Leon. „Wichtig ist nicht der Fall sondern der Aufprall“, spinnt sie ihren Gedanken weiter. Wohin führen unsere Gesellschaftsentwürfe, in denen Sexismus, Fremdenfeindlichkeit und Kolonialismus fundamental verankert sind? Wo politische Themen höchstens als Ausgangskleid für die nächsten kulturellen Events getragen werden, bis sie danach zuhause ungewaschen in der Ecke landen. Bis zur nächsten Kulturveranstaltung, versteht sich. Kann das Subjekt erschaffen durch so eine verrotte Struktur überhaupt jemals Villainess sein? Oder wird es vielmehr durch das Einhalten der gesellschaftlichen Konventionen dazu.
Villain
Villant
Villa
Villanus
Leonia glaubt fest, dass Klimabewegung und kritische Diskurse über Feminismus und Postkolonialismus Lichtblicke in eine bewusstere Zukunft bieten. Aber nur, wenn sie destruktiv genug eingesetzt werden, mindestens so wie Lützerath oder Black Life Matters. Das Patriarchat und die alten Strukturen sollen nicht transformiert, sondern niedergeschmettert werden, davon ist Leon fest überzeugt. Der Phönix entstieg aus der Asche, also von dort wo Feuer war, die wohl radikalste aller natürlichen Transformationen. Und Wälder wachsen schlussendlich auch nach Waldbränden am besten nach.
Das Patriarchat soll brennen
Alte Männer sollen brennen
Der Kohlhaas soll brennen
Die, die Hexen verbrannt haben sollen brennen
TERFS sollen brennen
Alice Schwarzer und JK Rowling allen voran
Kapitalismus soll brennen
Kolonialismus soll brennen
Alle westlichen Museen sollen brennen
Die Bührle Sammlung soll brennen
Bührle selbst soll brennen, wer war das überhaupt?
Das Blutgeld soll brennen
Die Banken sollen brennen
Gutmenschen sollen brennen
Nazis sollen brennen
Leons Familie soll brennen
Sein Geschlecht soll brennen
Alle Geschlechter soll brennen
Freud soll brennen
Nietzsche soll brennen
Und vor allem Picasso, der Teufel der Misogynie soll brennen
Worte sollen brennen
Strukturen sollen brennen
Das Feuer der Leidenschaft soll brennen
Die Tränen der Vergangenheit sollen brennen
Der Briefkasten des Polizeipräsidenten soll brennen
Die miauende Nachbarskatze soll brennen
Die Krankenkassenrechnung sollen brennen
Krebs soll brennen
Grippe soll brennen
Die verstopfte Nase soll brennen
Die eigene wie die kollektive Vergangenheit soll brennen
Brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn brenn
…
und Leonia übergibt sich in die Toilette. Tränen und Kotze fliessen aus seinen Kopflöchern hinaus, umgeben vom salzig-süssen Geruch der eingetrockneten, kollektiven Pisse ihrer WG. Gestern wurde in Leons Lieblings Yuppi-Club mal wieder kräftig Prosecco und Amphetamin reingeballert. Umgeben von Menschen, die auch alle bereit wären etwas zu ändern oder verbrennen, das aber nicht tun, äh sorry noch nicht tun. Also irgendwie ja schon, indem der Monatslohn an der nächsten Soli-Party in Bier und Wodka Mate umgetauscht wird. Das wird ja dann alles gespendet, Hedonismus für eine bessere Welt et voilà das Gewissen wird rein getanzt. Beim Gedanken ans tanzen kotzt Leon die nächste Ladung ihres Feuerbreu aus.
Als er in seine Kotze schaut, erinnert sich an eine Moment im Gang des Clubs gestern. Die dunklen Wände waren komplett mit Fotos von ausgeschnittenen Augen tapeziert. Zwei schummrige rote Glühbirnen waren die einzigen Lichter, so dass eine diffuse Stimmung herrschte. Durch die Wände war das Wummern der Musik der verschiedenen Clubräume zu hören. Als Leonia durch den Gang schwebte, befiehl sie ein Gefühl, das ihr sagte, dass sie nun stehen bleiben müsse. Er liess sich darauf ein, drehte sich um 45 Grad und lehnte mit dem Rücken an die Wand und verharrte dort. Mit geschlossenen Augen realisierte sie, dass sich ihr ganzes Inneres im Uhrzeigersinn dreht, während das drumherum regungslos dasteht. Langsam beschlich ihn das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden. Misstrauisch reisst Leonia ihre Augen auf, aber weder ist jemand anderes im Gang zu finden, noch gibt ihr die Dekoration ihr Aufschluss über das Gefühl, dass sie wie ein kalter Windstoss heimgesucht und eingenommen hat. Sie will weg davon, weiterlaufen, doch irgendwas hält sie noch immer an derselben Stelle. Ausserdem fühlt sich ihr Körper zu schwer an um sich fortzubewegen. Sie dreht sich um und drückt die mittige Stelle ihrer Stirn, leicht oberhalb der Augenbrauen an die harte Betonwand. Das Gefühl entspannt sie. Erneut schliesst sie ihre Augen. Mehrere abstrakte Formen bauen sich in ihren Gedanken auf, ein Kreis, der zum Dreieck, dann zum stehenden Rhomboid wird. Eine Form fliesst in unzähligen Fäden zur nächsten. Der Rhomboid kippt nach hinten weg und baut sich wieder auf. Die anfangs zweidimensionale Form wird innen dunkel und lässt dadurch Dreidimensionalität vermuten. Leon versucht zu sehen was im dunklen Bereich, der von gellem Licht umgeben ist, zu finden ist. Er geht auf die Dunkelheit zu, die bislang nur ein abstraktes Nichts Preis gibt. Mit einem fernen Kreischen aus einem der Clubräume erhellt sich das Dunkle und Leonie realisiert, dass sie sich selbst sieht, jedoch von hinten. Ihre rot-braun gefärbten Haare auf dem Hinterkopf wehen leicht, als bliese ein sanfter Wind durch den Gang. Das ist natürlich komplett unmöglich, da der Gang sich wie die Clubräume im Untergrund befindet und deshalb weder Ausgang noch Fenster in der Nähe ist. Leon’s Blick schweift näher zu seinen eigenen, langen Haaren, bis er merkt, dass sie nun nicht mehr nur wehen, sondern beginnen sich spiralartig zu drehen. Die Drehung hört jedoch nicht mit einem Knopf auf, sondern wirkt beinahe so, als würden mehr und mehr Haare aus dem Kopf hinauswachsen und dadurch ein unendlicher Wirbel entstehen. Leonias ganzes Bewusstsein beginnt sich analog zu den Haaren zu drehen, sie spürt wie ihr Magen das überhaupt nicht verträgt und übergibt sich erneut in die Toilettenschüssel. Late Night Döner und Rotwein geben ihrer Kotze eine rotbraune Farbe. Heute Sonntag geht definitiv nicht mehr viel bei ihr, ganz sicher nicht was Neues anreissen. Aber am Montag geht’s los, es ist glaub sogar Aschermontag. Bräuche sollen gebraucht werden, also werden dann neue Streichhölzer gekauft. Oder sogar geklaut.
So be it
Truth and illusion, my love, you don’t know the difference.
No but we must carry on us as though we did.
Amen
Snap! went the dragon
Skip it
I said Snap! went the dragon
Snap!
Snap!
Shut up hypocrit
Oh or are you a gallerist, which one are you?
Snap!
Does it matter to you?
No actually it doesn’t. Either way I’ve had it
Either way – Snap
Truth or illusion – doesn’t to matter to you at all?
SNAP! – there you got your answer baby.