Mo’s Geschichte, Dein Boot

Dein Boot
Dein Boo
Mo’s Geschichte
Mo’s Geschichte
Mo’s Geschichte

Januar 2019. Amat ruft mich an, dass unser Freund Mo nach Gambia ausgeschafft wurde. Zuvor hatte er acht Monate in Gefangenschaft verbracht. Ich frage, ob er etwas angestellt hatte? Nein, seine Aufenthaltsbewilligung sei abgelaufen. Was? Dunkelheit. Eine innere Stimme beginnt zu schreien, doch ich schweige für die nächsten zehn Monate. 

Trittst im Morgenrot daher, seh ich dich im Strahlenmeer. Dich, du Hocherhabener, Herrlicher! Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet! Eure fromme Seele ahnt, eure fromme Seele ahnt. Gott im hehren Vaterland, Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.

Sommer 2017. Wir machen im Lattich St. Gallen eine Ausstellung. Mit dabei ist auch mein Freund Amat, der zusammen mit einem Freund kocht. Dieser stellt sich später als Mohammed, kurz Mo, vor. Die Ausstellung wird von einer offenen, warmen Stimmung getragen. Amat und Mo bereiten köstliches Domoda zu und sorgen für gute Laune in der Küche. Wir hängen zusammen rum. Amat verarscht Mo wegen seines grossen Kopfs und dass dieser so schwer sei, dass er nach vorne umkippe. Ich lache Tränen. Mo gibt Amat zurück, dass er eh immer nur Blödsinn quatsche. Anschliessend verabreden wir uns, um irgendwann Fussball zu spielen. 

Ziehst im Nebelflor daher, such ich dich im Wolkenmeer. Dich, du Unergründlicher, Ewiger! Aus dem grauen Luftgebilde, tritt die Sonne klar und milde. Und die fromme Seele ahnt, und die fromme Seele ahnt. Gott im hehren Vaterland, Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.

November 2018. „Mo ist im Gefängnis“, erzählt mir Amat traurig am Telefon. In der Folge unterhalten uns über die Gründe ihrer Migration. Die Schweiz schien ein ökonomisches Utopia im Vergleich zur Armut in Gambia zu sein. Sie wussten jedoch nichts über die bürokratischen Strukturen des Landes. Hier angekommen erhielten sie die Erlaubnis vorerst zu bleiben, jedoch keine Arbeitsbewilligung. Ihr Alltag wurde bestimmt von Leere und vom Warten. Doch warten auf was eigentlich? Rassistische Muster erschwerten zudem ihr Leben, wie beispielsweise häufige polizeiliche Kontrollen aufgrund ihrer Hautfarbe. Zumindest seien die schweizer Polizisten freundlich, merkt Amat an. Und trotzdem, sein Leben ist zu diesem Zeitpunkt dominiert von der Angst das Land verlassen zu müssen. 

Fährst im wilden Sturm daher, bist du selbst uns Hort und Wehr. Du, allmächtig Waltender, Rettender! In Gewitternacht und Grauen, lasst uns kindlich ihm vertrauen! Ja, die fromme Seele ahnt, ja, die fromme Seele ahnt. Gott im hehren Vaterland, Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.

Dezember 2018. Von Glasgow aus rufe ich Amat per Whatsapp an. Wir reden über seine und Mos Reise von Gambia in die Schweiz. Amat erzählt, dass dies nur durch die Investition ihres gesamten Vermögens möglich war. Die Flucht bedeutete eine Reise ohne mögliche Wiederkehr zur vorherigen Normalität. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war ich ausserhalb der Schweiz, in Glasgow, und mache ein Master-Studium, ermöglicht durch Stipendien von Kulturstiftungen. Seltsamer Gedanke. Amat erzählt mir, dass Gambier*Innen generell keine langfristige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz erhalten. Das Land befindet sich zwar nicht im Krieg, leidet jedoch an grosser Armut als Konsequenz einer langen, jetzt gestürzten Diktatur. Die einzige Hoffnung auf einen Verbleib ist jemanden schweizerisches zu heiraten, oder die Hoffnung selbst. 

Kommst im Abendglühn daher, find’ich dich im Sternenheer. Dich, du Menschenfreundlicher, Liebender! In des Himmels lichten Räumen, kann ich froh und selig träumen! Denn die fromme Seele ahnt, denn die fromme Seele ahnt. Gott im hehren Vaterland, Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.

Februar 2019. Amat und ich unterhalten uns am Telefon über Mos Ausschaffungsprozess. Er erzählt mir, dass dieser normalerweise drei Monate dauere, welche die betroffene Person im Gefängnis verbringt. Da Mo auf keinen Fall nach Gambia zurückkehren wollte, dauerte seine Abschiebung ganze acht Monate. Ich schreibe Mo per Instagram an, frage, wie es ihm gehe. Gut, antwortet er und dass er sich auf der Rückkehr nach Europa befinde. In Gambia wollte er weder Freunde noch Familie treffen. Ich biete ihm meine Hilfe an. Er bedankt sich. Ich frage, ob er finanzielle Hilfe brauche? Er antwortet, das sei sehr gütig, aber nein. Später frage ich ihn, ob ich seine Geschichte als Teil meiner Kunst erzählen dürfe. Er antwortet, dass er aus verschiedenen Gründen niemandem über sein Schicksal berichtete. Da er mir jedoch vertraue, erlaube er es.  

In der Folge unterhalte ich mich mit Amat über Mos Situation. Er erzählt mir, dass Mo nun ganz alleine sei. Hilfe lehne komplett ab, egal von wem. Die Strecke, auf der er sich befindet, sei wesentlich unsicherer als ihre damalige über Italien. Mo’s Leben ist jetzt in Gefahr.